Verständnis für sich selbst und den anderen

Die sog. „Interessenklärung“ ist Wesensmerkmal und Herzstück der Mediation. Darin unterscheidet sich die Mediation wesentlich und qualitativ von allen anderen ADR-Verfahren. Mit der Fokussierung auf die Interessen der jeweiligen Parteien erfolgt auch eine Fokussierung auf deren Eigenverantwortung. Während alle anderen ADR-Verfahren die Lösungsfindung auf einen Dritten (Experten, Empfehler, Entscheider) delegieren, geht die Mediation davon aus, dass durch eine gute Klärung der jeweiligen Interessen die Parteien selbst befähigt werden, die Lösung ihrer Angelegenheit zu finden. Da hierdurch oftmals Rechtsverhältnisse gestaltet, neue Firmen gegründet oder sogar anhängige Gerichtsprozesse beigelegt werden, lohnt es sich näher zu untersuchen, was genau in der Interessenklärung geschieht und die Konflikt-Parteien derart bestärkt, letztlich zu kooperieren und lösungsgestaltend zusammen zu wirken.

Die Frage nach den individuellen Interessen zwingt die Partei von ihrer fordernden und mitunter den anderen abwehrenden Position für einen Moment abzusehen und sich auf sich selbst zu konzentrieren (bzw. auf die Interessen des eigenen Unternehmens oder der ausgefüllten Rolle im Unternehmen). Dieser Perspektivwechsel fällt Konfliktparteien oft schwer, da der Eindruck entsteht, die eigene Schutzposition aufzugeben. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass genau dieser Perspektivwechsel es ermöglicht, jede Konfliktpartei zu stärken, da die gegenseitige Verstrickung und das gegenseitige Re-Agieren im Konflikt aufgegeben werden kann und die Parteien sich wieder begegnen. Und wenn die eigene Sichtweise im Gespräch gestärkt wird, so entsteht auch Bereitschaft die Sichtwiese des jeweils anderen zu hören. Die Interessenklärung erfordert somit kein gegenseitiges Nachgeben oder Aufgeben, sondern arbeitet mit der Bestärkung (Empowerment) jeder Partei, während die jeweils andere immer leichter zuhören und verstehen kann (Recognition), je weniger Angriffe oder Verteidigungen geäußert werden und je mehr sich das Gespräch um die jeweiligen Interessen, Sichtweisen, Wertevorstellungen und Ziele dreht.

Die Interessenklärung legt hierbei den zugrundeliegenden Sinn des Konflikts frei und schafft lösungsfördernde Klarheit. Verständigung entsteht, die die Grundlage für gelingende Kopperation darstellt. Die herausgearbeiteten Interessen stellen dabei die Qualitätskriterien für die zu findenden Lösungen dar, so dass jeder einen individuellen Nutzen erfährt in Gegenwart und Zukunft.

Eine gelingende Interessenklärung erfordert vom Mediator neben seinem kommunikativen Handwerkszeug vor allem ein gutes Gespür für die Gestaltung von Verständigungsprozessen. Eine gute Frage kann für eine Partei zu früh gestellt sein und eher konfrontieren als bestärken. Ein zu schnelles Vorgehen kann eine Partei in den Widerstand bringen. Zu langsames Vorgehen kann die nötige Fokussierung schwächen. Neben dem richtigen Timing ist auch ein Gespür für die richtige Tiefe des Verständigungsprozesses erforderlich. Im einen Fall ist ein behutsamer Umgang mit Emotionen notwendig, im anderen wenig hilfreich. Somit ist ein flexibles Vorgehen im jeweiligen Einzelfall von Nöten, was für den Mediator ein ständiges Improvisieren innerhalb der klaren Verfahrensstruktur bedeutet.

Die Zukunftsorientierung steht bei der Mediation im Vordergrund. Es soll nicht problem- und vergangenheitsorientiert verhandelt werden, sondern lösungs- und zukunftsorientiert. Unsere Erfahrung in der Wirtschaftsmediation zeigt jedoch, dass es für die Konfliktbeteiligten oftmals nicht möglich ist, von der Vergangenheit abzusehen, denn dort ist der Konflikt entstanden, dort wurden Missverständnisse und Verletzungen erfahren, dort begann die Eskalation. Doch wie kann in der Mediation konstruktiv mit der Vergangenheit umgegangen werden? Inwieweit ist die Beleuchtung der Vergangenheit für die Ergebnisoffenheit der Medianten erforderlich?

Der narrative Ansatz aus der systemischen Therapie und Beratung hat uns inspiriert. Er arbeitet bewusst mit der Vergangenheit und der subjektiven Wirklichkeit jedes Menschen, die durch Erinnerungen, Erfahrungen, Gefühle und Deutungen entsteht und der durch Erzählung Ausdruck verliehen wird. Sie beruht nicht auf Fakten oder dem Glauben, dass es wirklich so war, sondern auf der subjektiven Präsenz der jeweiligen Person in Raum und Zeit. Da Menschen durch einen Konflikt naturgemäß eine Verengung des Denkens erleben und die Wahrnehmung der Gegenwart überschattet und stark beeinflusst wird durch Glaubenssätze, die in der Vergangenheit geschaffen wurden, können Lösungsmöglichkeiten oft gar nicht erkannt werden. Die narrative Konfliktarbeit erlaubt es diese verengten und totalisierenden Konfliktgeschichten zu entzerren, indem die subjektiven Sichtweisen der Parteien wertfrei und  wertschätzend anerkannt und gegenüber gestellt werden. Der Blick wird geweitet und Verständnis für einander aufgebaut. Ziel ist es die Beziehung der Konfliktparteien hierdurch so zu verändern, dass gemeinsam eine „alternative gemeinsame Geschichte“ geschrieben wird, indem „das ganze Bild“ entsteht.

Wir nutzen diesen Ansatz und wandeln ihn ab, indem wir nur kurz die Konflikthistorie beleuchten lassen. Insbesondere in stark eskalierten Mediationen und komplexen Sachverhalten (oftmals mit anhängigen Gerichtsverfahren) ist es unserer Erfahrung nach nicht hilfreich die komplette Konfliktgeschichte erzählen zu lassen und die negativen Emotionen und Glaubenssätze der Beteiligten dadurch erneut aufzuladen. Stattdessen erstellen wir gemeinsam mit den Medianten (zu Beginn der Themensammlung) eine Konflikthistorie im Sinne eines visualisierten Zeitstrahls. Dabei werden die Ereignisse in der Vergangenheit mit Daten, Vorkommnissen und subjektiven Sichtweisen kurz zusammen getragen und visualisiert. Jeder Mediant erhält die Möglichkeit für ihn wichtige Erlebnisse darzustellen. Und erlebt, dass die – in der Regel – unterschiedlichen Narrative der Beteiligten in einem gemeinsamen Bild zusammen gefügt werden können. Dies allein wird häufig schon als entlastend und befreiend empfunden. Distanz zum Konflikt entsteht und der Blick kann verständnisbasiert in die Zukunft gerichtet werden. Probieren Sie es aus!

Aufgrund der Häufung hoch eskalierter Konflikte im innerbetrieblichen Kontext in unserer Praxis, haben wir nochmals einen Fokus auf psychologisches Hintergrundwissen gelegt, um mehr Verständnis für die Betroffenen zu erlangen und damit unsere Empathiefähigkeit zu stärken sowie hilfreich sein zu können beim mehrseitigen Verständigungsprozess.

Dabei fanden wir insbesondere folgende Veröffentlichungen hilfreich:

„Symbiose und Autonomie“ (Klett-Cotta) und “ Trauma, Angst und Liebe: Unterwegs zu gesunder Eigenständigkeit“ (Kösel-Verlag) von Prof. Dr. Franz Ruppert, Dipl.-Psych.
Prof. Ruppert erläutert die Bedeutung von Traumatisierungen für die Konfliktfähigkeit von Personen. Er unterscheidet zwischen „gesunden Anteilen“, Überlebensstrategien und Traumaanteilen und stellt die interessante These auf, dass „Überlebensstrategien“ kulturspezifisch geprägt seien, „gesunde Anteile“ jedoch essentiell menschlichen Bedürfnissen entsprächen und somit einheitlich global seien. In unserer Praxis hilft die Frage bei hoch eskalierten Konflikten, aus welchen „Anteilen“ die Person gerade re-agiert und wie „gesunde Anteile“ gestärkt werden können, um eine stabile eigenverantwortliche Lösung zu erarbeiten.

Des weiteren sind wir nochmals auf die bereits in der 6. Auflage erschiene Veröffentlichung von Friedrich Glasl „Selbsthilfe in Konflikten“ (Haupt-Verlag) zurück gekommen, die sehr komprimiert das Glasl’sche Basiswissen zu Konfliktentstehung und -eskalation vertieft und zugleich auf eine einzelne Partei runter bricht. Eine hervorragende Hilfe zur Selbsthilfe in Konflikten, aber auch eine große Hilfe zum Verstehen einzelner Verstrickungen, Sichtweisen und damit letztlich Lösungsmöglichkeiten.

Das Wesen der Mediation und moderner Verhandlungsstrategien spiegelt sich in der Interessenklärung: anstatt direkt vom Problem zu einer Lösung zu gehen, werden die Parteien darin unterstützt Verständigung und Verständnis für sich selbst und den jeweils anderen zu entwickeln. Anstelle des Gegeneinanders im Konflikt entsteht ein „für-sich-selbst-sein“ – und daraus „ein-miteinander-werden“ hin zur Kooperation. Die Rolle des Mediators ist eine unterstützende, welche Einfühlung, Wertschätzung und „Übersetzung“ in eine Sprache ermöglicht, die Deeskalation und Verständigung fordert und fördert.

Das 2-Tages-Seminar „Interessenklärung und die Kunst des Fragens“ bietet allen ausgebildeten Mediatoren die ideale Möglichkeit, um mit den Inhalten und Techniken der Mediation wieder in Kontakt zu kommen, diese gezielt zu vertiefen und um weitere Methoden zu erweitern.

Das klassische Mediationsverfahren bündelt Techniken, Interventionen und Know-How aus verschiedenen Disziplinen. Man kann die Mediation als Verständigungsprozess verstehen, aber auch als Entwicklungs-, Innovations-, Change- und Kreativprozess. In jeder Mediation sowie in jeder einzelnen Sitzung wird hierzu der entsprechende Schwerpunkt gelegt. Durch das Vermitteln, Vertiefen und Üben des erforderlichen Handwerkszeugs möchten wir Sie bei Ihrer Arbeit unterstützen.

Kreativ visualisieren & Kreativität aktivieren

Visualisierung ist ein elementares Handwerkszeug für die Konfliktklärung und -moderation. Sie bietet den roten Faden, der Vertrauen bildet und dem Mediator/Moderator hilft, Struktur und den Überblick zu behalten. Eine grafische und lebendige Darstellung der Verfahrensschritte und -inhalte ist Erfolgsfaktor für die Prozessgestaltung – und „unterhält das Auge“. Gelungene Visualisierung wertschätzt die Beiträge der Beteiligten, fördert den Perspektivwechsel und unterstützt konsensfähige, überraschende und nachhaltige Ergebnisse. Eine Atmosphäre der Leichtigkeit entsteht, humorvolle Aspekte werden ermöglicht.

Das 2-Tages-Seminar mit Kristina Oldenburg vermittelt Ihnen auf kreative Art und Weise die grafischen Aspekte der Visualisierung in der mediativen Prozessgestaltung (Mediation, Moderation, Collaborative Praxis) und hilft Ihnen den für Sie passenden, authentischen Stil zu finden.